Die Wahl der Kommunikationsstrategie

von Karin Fagetti

Lassen wir uns mehr von emotionalen Eindrücken und Erlebnissen leiten oder mehr von intellektuellen, also zum Beispiel von Fakten und Tatsachen? Ist es Unaussprechliches, Gefühltes und Ungefähres, das uns ein Produkt, eine Dienstleistung, ein Unternehmen oder eine Organisation und ihre Anliegen näher bringen oder sind es Kriterien wie Standort, Zeit oder Anzahl Mitarbeitende, die uns zu Käufern oder «addicted follower» machen? Spontan sagt uns der gesunde Menschenverstand, dass es beides ist.

Mit dem Aufkommen der Konsumgüter entstand jenes Marketing, das zuerst in Schaufenstern und mit Inseraten, dann auch mit TV-Spots Werbung für Produkte und Firmen machte. Dafür standen meist klare Faktoren im Vordergrund. Ein Auto, das weniger Reparaturen hatte, galt als das bessere Produkt. Heute geschieht die Bewerbung oft (zu oft?) in Form eines Angriffs auf das limbische System (Funktion im Gehirn, die der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten dient). Vermarktet werden Erlebnisse, Gefühltes und Ungefähres und weniger der konkrete Kundennutzen. Angesprochen werden Triebe und Emotionen. Das Unbewusste. Das bedeutet, dass HR-Abteilungen daran arbeiten, dass ihre Unternehmen geliebt werden, damit sich die richtigen Leute bei ihnen bewerben. Auch der Staubsauger oder die Biersorte – immer muss alles geliebt werden.

Diese Veränderung hin zu emotionalisierter Kommunikation hat einen Grund. Selbstverständlich sind wir Menschen fakten- und gefühlsorientiert. Denke ich an den Kauf einer elektrischen Zahnbürste, informiere ich mich über ihre technischen und vielleicht ergonomischen Daten. Also Fakten. Will ich Ferien buchen, sind es weitgehend auch Emotionen, die die Wahl meiner Destination mitentscheiden. Also Gefühltes, Geliebtes.

In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Qualität vieler Produkte und die Ziele von Unternehmen vielerorts angeglichen oder sind sich zumindest deutlich näher gekommen. Ob ich ein iPhone nutze, ein Samsung oder Huawei ist heute technisch gesehen praktisch einerlei. Und Missionen, Visionen und Werte von Unternehmen – ob sie nun Schrauben verkaufen, Software-Applikationen oder das Fleisch von Kobe-Rindern  – scheinen oft so austauschbar, dass man sich bei Strategieentwicklungsprozessen zu Recht fragen darf, ob das nicht verschwendete Zeit ist. Den USP – der unic selling point – herauszudestillieren, mag einfach klingen, kann aber eine grosse Herausforderung sein, wenn in den Strategieentwicklungsprozessen solche Fallstricke zu wenig berücksichtigt werden.

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Diesem Einerlei in der Produkt- und Dienstleistungswelt hoffen wir in der Kommunikation mit den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung zu entkommen. Die Datensammelwut von facebook und Co. führt dazu, dass wir Customer Journeys besser denn je nachzeichnen können. Uns stehen heute Daten zur Verfügung, mit deren Hilfe wir voraussagen können, dass sich Herr Müller mit grosser Wahrscheinlichkeit in den nächsten 14 Tagen für den Kauf eines Rasenmähers entscheiden wird und Frau Meier offen ist für diese oder jene politischen Botschaften. Folglich kann Werbeinhalt passgenau zusammengestellt werden, und für den einen mehr faktenbasiert, für den anderen gefühlsbetonter.

Die Vermessung des Menschen als Basis für die genau richtige Kommunikation, als Basis für die passende Positionierung des Unternehmens oder des Produkts. Dem Auftraggeber verspricht das im Idealfall genauere und erfolgreichere Kommunikationsaktivitäten mit weniger Aufwand. Und dem Konsumenten Werbung (im weitesten Sinne) ohne „lästiges Beigemüse“. Also die Lösung für den berühmten Satz von Henry Ford: «Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht welche Hälfte.»   Vielleicht.

Die bemühende und ermüdende Entweder-oder-Diskussion, ob die richtige Kommunikationsstrategie nun mehr erlebnisgetrieben oder stärker faktenbasiert sein soll, ist dann jedenfalls hinfällig. Wenn die Daten tatsächlich so tief blicken lassen, wie einige hoffen, und wir in der Lage sind, sie vorsichtig und unter Einbezug aller notwendigen Parameter zu interpretieren, kann sich der Kreis schliessen. Weil sie dann helfen zu verstehen (oder besser zu akzeptieren), dass Menschen beides sind, angetrieben von Erlebnissen und Gefühlen aber auch von Fakten und Informationen. Die Daten ermöglichen dann, dass Komplexität nicht wieder so weit vereinfacht wird, bis alles falsch wird, sondern die Schlüsse daraus die Komplexität des menschlichen Funktionierens in den Unternehmensstrategielösungen respektiert und richtig berücksichtigt. Und in der Kommunikation werden wir dann vielleicht auch befreit werden von der Erwartung, dass ständig immer alles geliebt werden muss. Mehr noch, es wird verstanden, dass nicht immer alles geliebt werden soll und darf. Vor allem auch für wahre Liebe.