2020/12/02

von Dr. Gunter Nittbaur

Vor einiger Zeit durfte ich einen Strategieworkshop mit den IT-Verantwortlichen mehrerer mittelständischer und großer deutscher und europäischer Unternehmen moderieren. Wir sprachen dabei unter anderem auch über die langfristigen wirtschaftlichen Entwicklungen und Zyklen und diskutierten die Frage, welche Ökonomie denn wohl auf unsere aktuelle, stark datengetriebene Ökonomie folgen würde, die ihrerseits in den letzten Jahren sukzessive die ölgetriebene Ökonomie abgelöst hatte. Welches wohl die nächste große, S-kurvenförmige Transformation sein würde, auf die sich die Unternehmen jetzt schon einstellen und vorbereiten könnten. Zu meiner Überraschung waren die IT Chefs selbst nicht sehr überzeugt von der Dauerhaftigkeit des Rohstoffes „Daten“ als dem neuen Öl und Schmiermittel für den Wachstums- und Gewinnmotor. Zwar sind die Unternehmen gegenwärtig alle noch fleißig dabei, mittels Big Data, KI und Predictive Analytics das Kundenverhalten zu analysieren und zu prognostizieren und gehören Unternehmen mit datengetriebenen Geschäftsmodellen wie Alphabet oder Facebook zu den wertvollsten weltweit.   Gleichwohl aber, so die Auffassung meiner Workshop-Teilnehmer an der Hotelbar, könnte der nächste Zyklus von einer Vertrauensökonomie geprägt sein. Unternehmen würden sich demnach dann erfolgreich im Markt positionieren und differenzieren können, wenn sie über ein vertrauenswürdiges Geschäftsmodell und ein entsprechendes Leistungsportfolio verfügten.

Nun sind über das Thema „Vertrauen in der Wirtschaft“ ja schon zahllose Bücher und Beiträge verfasst worden und entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass das Thema schon längst beim C-Level der Unternehmen angekommen ist. Meine Erfahrung aber ist, dass die Bedeutung von Vertrauen als echtes Alleinstellungsmerkmal in der Praxis noch nicht in diesem Umfang erkannt worden ist. Zwar taucht der Begriff vielfach im Unternehmen auf, schön formuliert im Leitbild („Vertrauen ist wichtig“) oder als griffige Marketingformel („Uns können Sie vertrauen!“). Zumeist fühle ich mich dann an den Kinderfilm Das Dschungelbuch erinnert, in dem die Schlange Kaa den kleinen Mogli mit ihrem hypnotisierenden Lied buchstäblich einwickelt mit dem Ziel, ihn zu verspeisen: „Hör auf mich, glaube mir, Augen zu, vertraue mir“.

Ich stimme der an der Hotelbar formulierten Prognose vollkommen zu, wonach Vertrauen als zentraler Wert prägend für den nächsten großen Entwicklungszyklus sein könnte. Weil ich mir selbst Unternehmen wünsche, deren Produkten und Menschen ich vollständig vertrauen kann und vertrauen will. Ich empfehle deshalb den Vorständen, Geschäftsführern und Führungskräften in meinen Projekten, dass sie schon heute damit beginnen, ihr Unternehmen auf diese große Chance vorzubereiten, indem sie sich in ihrem Auftreten und bei ihren Entscheidungen an drei simplen aber ungeheuer wirksamen Regeln orientieren:

  1. Sei authentisch. Die Echtheit im Verhalten erzeugt Vertrauen. Authentische Unternehmen dürfen Fehler machen und dazu stehen. Authentische Führungskräfte müssen nicht 70 Stunden pro Woche als vermeintliche Übermenschen auftreten, sondern dürfen auch über Gefühle reden und Schwächen zeigen. Authentische Kundenberater dürfen mir gerne sagen, dass das Produkt, das ich in Händen halte, viel zu teuer ist und die günstigere Alternative weiter unten im Regal genauso gut ist. Und authentische Produkte stehen dazu, was in ihnen steckt, wie nachhaltig sie sind und wie sie wirken.
  2. Sei logisch. Vertrauen entsteht durch Kompetenz, gute Argumente und ein erkennbares Nutzenversprechen. Kunden möchte die Dinge verstehen, die sie kaufen. Ich vertraue meinem Hausarzt nicht deshalb, weil er mir komplizierte Produkte namhafter Pharmaunternehmen zur Auswahl anbietet, sondern weil er für mich nach einer nachvollziehbaren Lösung für mein Problem sucht.
  3. Sei empathisch. Empathie bezeichnet laut Wikipedia „die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden“. Wer sich in der geschäftlichen Beziehung auf sein Gegenüber einlässt und ein echtes Interesse an dessen Erfolg und Wohlbefinden hat, der wird sich auch in Zukunft über volle Auftragsbücher freuen können.

Wer diese drei Regeln im täglichen Umgang mit Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzten, Kunden und Lieferanten einsetzt wird schnell erleben können, wie Vertrauen wächst und wie verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Und wenn sich die deutsche und europäische Wirtschaft im letzten Zyklus von den Asiaten und im gegenwärtigen, datengetriebenen Zyklus von den Amerikanern hat überholen lassen, so hat nun diese neue, sich gegenwärtig noch schwach abzeichnende Vertrauensökonomie durchaus die Chance, ein neues Wirtschaftswunder „Made in Europe“ zu erzeugen.