2021/03/03

von Dr. Claus Knoth

Vor fast einem halben Jahr habe ich in einer früheren Sichtweise die aus meiner Sicht drei zentralen Fragen für den langfristigen Erfolg in China dargestellt. Ein Thema war hier die gezielte, strategische Entwicklung der Mitarbeiter und der Aufbau der nötigen Kompetenzen. Nun kommt an dieser Stelle ein besonderer Aspekt hinzu, der für europäische Unternehmen von hoher strategischer Bedeutung sein kann. Können unsere Unternehmen ohne Expats funktionieren? Also ohne dauerhaft entsendete Mitarbeiter aus Europa, insbesondere in den Führungspositionen. Im Moment hat es zwar große Vorteile, als Expat in China zu sein – das Leben nimmt seinen mehr oder weniger normalen Verlauf, die Arbeit geht weiter und Sport und Restaurantbesuchen steht nichts im Wege. Aber für Expats, die aus dem Ausland zurückkehren wollen, sieht das schon anders aus. Zwei Wochen Quarantäne, eingeschlossen in einem mittelmäßigen Hotelzimmer mit zum Teil fragwürdiger Verpflegung stellt die Nerven auf die Probe. Insbesondere, da sich die gültigen Regelungen auch schnell einmal ändern können – da können dann auch mal drei oder vier Wochen Quarantäne fällig werden.

Noch schwieriger wird es für die ganz neu einreisenden Expats. Es wird aktuell von Fällen berichtet, in denen Expats selbst ein Einreisevisum angeboten wird, jedoch nur ohne deren Familienangehörige. Daher wird sich sicherlich die Tendenz weiter verstärken, dass China für Expats nicht unbedingt zu den attraktivsten Zielen gehört. Insbesondere, da auch deutlich erkennbar ist, dass die chinesischen Entscheider darüber auch nicht unglücklich sind.

Dies führt mich zu der zentralen Frage: können europäische Unternehmen ohne Expats überhaupt funktionieren? Die erste klare Antwort ist – ja, natürlich, denn dafür gibt es ja auch schon Beispiele. Allerdings geht das nicht von heute auf morgen und eine ausschlaggebende Voraussetzung muss erfüllt sein: gegenseitiges Vertrauen, das Schmiermittel jeder Organisation, muss vorhanden sein. Dieses entsteht, wenn wir ein gutes Verständnis für den anderen haben und angemessen auf seine kulturellen Besonderheiten eingehen und dadurch positive gemeinsame Erfahrungen machen. Leider haben europäische Unternehmen hier noch einigen Nachholbedarf – viel zu oft wird das Chinabild europäischer Mitarbeiter durch Stereotype und Vorurteile geprägt. Hieran sollte gearbeitet werden und dies kann auch ohne großen Aufwand auf digitalem Wege erfolgen. Insbesondere international zusammenarbeitenden Teams sollte der Raum gegeben werden, sich auch auf persönlicher Ebene kennenzulernen und nicht nur gleich in Sachthemen einsteigen zu müssen.

Aber natürlich muss auch die chinesische Seite zum gegenseitigen Vertrauen beitragen. Zum einen bestehen auch hier noch viele Vorurteile und Stereotype. Zum anderen kann die Zusammenarbeit nur mit angemessener Transparenz gelingen. Nur wenn die Entscheider in Europa das Gefühl haben, dass sie die Vorgänge im eigenen Unternehmen in China angemessen einschätzen können und dort entsprechend der eigenen Werte und Normen agiert wird, wächst das Vertrauen weiter. Bei jedem europäischen Unternehmen sollten daher Überlegungen zum Aufbau einer Organisation, die gegebenenfalls ohne Expats auskommt, fester Bestandteil einer China-Strategie sein. Zugleich möchte ich betonen, dass für mich Expats einen extrem wichtigen und positiven Beitrag leisten. Dennoch sollten Unternehmen das beschriebene Risiko ernst nehmen und darauf vorbereitet sein.

Noch eine kurze Testfrage für Sie zum Abschluss – könnten Sie erklären, warum die Opiumkriege und die sogenannten ungleichen Verträge aus dem 19. Jahrhundert für Ihre chinesischen Mitarbeiter und Partner nicht nur Historie, sondern von größter aktueller Bedeutung für die Weltpolitik sind? Denn solches Wissen kann entscheidend für gegenseitiges Verständnis sein.

 

Die Management Experts St. Gallen (MESG) bieten Beratungsleistungen bei komplexen Fragestellungen im Bereich General Management. Unser Experte Dr. Claus Knoth hat seit seinem Studium in Beijing vor rund 30 Jahren vielfältige Chinaprojekte umgesetzt. Er deckt dabei sowohl den Bereich Strategieentwicklung wie auch den Bereich Führungskräfteentwicklung ab. Sie suchen einen kompetenten Ansprechpartner? Sie haben konkrete Fragen? Kontaktieren Sie ihn unter: claus.knoth@mesg.ch