2020/09/23

von Dr. Claus Knoth

China ist in den letzten Jahren für viele europäische Unternehmen zu einem der wichtigsten Märkte weltweit geworden. Trotz der aktuellen globalen Veränderungen im politischen und wirtschaftlichen  Umfeld wird die Bedeutung Chinas auch in den kommenden Jahren weiter zunehmen, insbesondere in Hinblick auf die wachsende Inlandsnachfrage. Während viele Volkswirtschaften enorm unter den Verwerfungen der gegenwärtigen COVID-19 Pandemie leiden, gehen von der chinesischen Wirtschaft bereits wieder starke Wachstumsimpulse aus. Chinesische Konsumenten haben bereits wieder ihren alten Optimismus zurückgewonnen. Dennoch werden westliche Unternehmen längerfristig nur dann in China erfolgreich sein,  wenn sie sich an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen und die richtigen Maßnahmen einleiten. Die drei wichtigsten Fragen, die sich Unternehmen derzeit stellen sollten, sind aus unserer Sicht:  

1. Haben wir die richtigen Mitarbeiter vor Ort und tun wir genug für den Kompetenzaufbau sowie ein stabiles Team?

Die letzten Monate haben gezeigt, dass ein entscheidender Erfolgsfaktor für westliche Unternehmen das Team in China ist. Die angemessene Lagebeurteilung muss vor Ort erfolgen und richtungsweisende Entscheidungen werden mehr und mehr dort getroffen. Häufig sind schnelle Reaktionen erforderlich, die Entscheidungswege über die europäische Unternehmenszentrale würden zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Daher müssen die richtigen Kompetenzen für den zukünftigen Erfolg in China aufgebaut werden. Geeignete Maßnahmen gegen Personalfluktuation sollten verhindern, dass wichtige Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Vor einigen Jahren war es für chinesische Mitarbeiter noch eine Auszeichnung, in einem ausländischen Unternehmen arbeiten zu dürfen. Doch dies hat sich inzwischen geändert und westliche Firmen stehen im harten Wettbewerb mit den chinesischen Topunternehmen um die besten Talente. Es ist daher entscheidend, attraktive Perspektiven bieten zu können.

2. Arbeiten wir zwischen China und Europa angemessen zusammen und verstehen wir uns gegenseitig?

Das Team in China alleine wird in vielen Fällen nicht erfolgreich sein können, wenn es nicht die angemessene Unterstützung von den europäischen Kollegen erhält. D.h. ein besonderes Augenmerk sollte auf die Zusammenarbeit zwischen der chinesischen und der europäischen Organisation gelegt werden. Hier liegen in der Regel noch viele Optimierungsmöglichkeiten. Insbesondere ist in vielen Fällen die Kommunikation schlecht, die Strategie wird nicht wirklich verstanden, Zweifel an der Richtigkeit der Strategie werden nicht geäußert oder fehlende Informationen und Missverständnisse führen zu falschen Entscheidungen. So erfolgen mitunter wichtige strategische Weichenstellungen in der Zentrale, ohne dass ausreichend Wissen über die genaue Situation in China oder ausreichend Zeit für den kritischen Austausch vorhanden ist. Hinzu kommt aktuell, dass aufgrund der fehlenden Reisemöglichkeiten der direkte persönliche Austausch fehlt. Es sollte daher kritisch überprüft werden, ob der Informationsfluss in beide Richtungen funktioniert und ob man sich gegenseitig wirklich versteht.

3. Ist unsere Strategie noch richtig und ist unsere Organisation flexibel genug, um auf Veränderungen reagieren zu können?

Die Unsicherheit über die Rolle Chinas in der Weltwirtschaft nimmt zu, der Konflikt zwischen China und den USA wird immer kritischer, viele Unternehmen überlegen, welche Folgen dies für ihre Lieferketten hat. Dabei sind auch dramatische Veränderungen nicht grundsätzlich auszuschließen, die derzeit bei westlichen Entscheidungsträgern kaum im Bewusstsein sind. Einzelne Chinaexperten diskutieren beispielsweise, ob die chinesische Regierung auf einen Machtwechsel in den USA spekuliert und das dann folgende Machtvakuum nutzen möchte, um einen militärischen Angriff auf Taiwan auszuführen. Auch die taiwanesische Regierung hält einen Angriff grundsätzlich für möglich, wie sich in der derzeitigen massiven Aufrüstung zeigt. Auch wenn derzeit nicht davon auszugehen ist, dass es wirklich dazu kommen wird, so besteht dennoch das Risiko mit enormen Folgen für die chinesische und die globale Wirtschaft.

Bei aller Unsicherheit sollte dennoch die Strategiearbeit europäischer Unternehmen nicht aufgeschoben werden nach dem Motto: „Wir müssen erst einmal abwarten und sehen, wie sich die Sache entwickelt.“. Auch das Prinzip Hoffnung ist hier kein guter Ratgeber. Vielmehr sollten jetzt die verschiedenen Szenarien durchgespielt und mögliche Reaktionen abgeleitet werden. Eine angemessene Lagebeurteilung ist jedoch ohne ein angemessenes Wissen über die chinesische Geschichte nicht möglich. Beispielsweise ist das Verhalten der chinesischen Regierung in Bezug auf Hongkong kaum zu verstehen, ohne einen Blick auf die Ursprünge und Konsequenzen der Opiumkriege im 19. Jahrhundert zu werfen. Mangelndes Wissen und Vorurteile erhöhen die Gefahr von folgenschweren Fehlurteilen. Europäische Entscheider sollten daher nicht nur kritisch prüfen, in welchem Umfang sie heute von China abhängig sind und wie sie sich hier für die Zukunft positionieren, sondern auch ob sie ausreichend Wissen über China haben. Ein zentrales Element der eigenen China-Strategie wird sicherlich sein, wie genug Flexibilität in der Organisation geschaffen werden kann, um schnell und angemessen auf neue Entwicklungen reagieren zu können.

 

Über diese drei Fragenkomplexe sollten Sie sich regelmäßig und offen auch mit Ihren Kollegen in China austauschen – denn deren Sicht könnte sich maßgeblich von Ihrer eigenen Einschätzung unterscheiden. Aber erst das gemeinsame Verständnis und die Verwendung des gesamten Wissens der Organisation, wird zum langfristigen Erfolg in China führen.

Die Management Experts St. Gallen (MESG) bieten Beratungsleistungen bei komplexen Fragestellungen im Bereich General Management. Unser Experte Dr. Claus Knoth hat seit seinem Studium in Beijing vor rund 30 Jahren vielfältige Chinaprojekte umgesetzt. Er deckt dabei sowohl den Bereich Strategieentwicklung wie auch den Bereich Führungskräfteentwicklung ab. Sie suchen einen kompetenten Ansprechpartner? Sie haben konkrete Fragen? Kontaktieren Sie ihn unter: claus.knoth@mesg.ch