2021/05/19
«Gegen Angriffe kann man sich wehren, gegen Lob bist du machtlos.»
(Sigmund Freud)
von Kai von Rappard
Um jeden Verdacht von Beginn weg zu beseitigen – es ist nichts schlecht an Wertschätzung und wir brauchen sie zwingend für unser eigenes Selbstwertgefühl. Wertschätzung drückt eine generelle und positive Haltung gegenüber anderen Menschen aus. Sie ist verbunden mit dem Interesse und dem freundlichen Respekt gegenüber dem anderen und verleiht ihr wiederum das gute Gefühl geachtet zu werden. Wertschätzung äussern vor allem die Menschen, welche ihrerseits über ein hohes Selbstvertrauen verfügen.
Lob und Anerkennung nähren das Selbstwertgefühl – bis zu einem gewissen Grad
Lob und Anerkennung von Vorgesetzten tun den Mitarbeitenden gut und decken dieses grundsätzliche Bedürfnis nach Anerkennung ab. Wenn die Mitarbeiterin oder ganze Arbeitsgruppen in ihrer Gemütslage positiv gestimmt sind, sind sie kreativer, flexibler, dynamischer und engagierter. Freude, Optimismus, Zufriedenheit, Humor und Glück versüßen nicht nur die persönliche Befindlichkeit, sie steigern auch die Performance. Sie verbessern die Qualität der Leistung, die Effizienz in den Prozessen sowie die Effektivität von Teams und der gesamten Organisation. Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat den Zusammenhang zwischen der positiven Stimmung in einem Land und seiner volkswirtschaftlichen Entwicklung nachgewiesen. Nicht der ökonomische Erfolg macht die Menschen glücklich, sondern zufriedene Menschen sind nach Kahnemans Erkenntnissen einfach effektiver.
Da jeder Mitarbeitende auch Mensch ist, liebt er die Anerkennung seiner Umwelt und freut sich, wenn außergewöhnliche Leistungen als solche von anderen gewürdigt werden. Anerkennung verpufft jedoch, wenn jede vermeintliche Selbstverständlichkeit mit Lob bedacht wird. Auszeichnungen à la Mitarbeiter des Monats passen nicht mehr in eine Managementlandschaft, in der nur die Vernetzung von Kompetenzen, Aktivitäten und Beiträgen vieler Leistungsträger wirklichen Wert für das Unternehmen schaffen kann. Vorgesetzte sollen Lob und Anerkennung dort aussprechen, wo sie wirklich verdient sind, auch um zu vermeiden, dass sie bei anderen Kolleginnen und Mitarbeitenden eine kontraproduktive Wirkung entfalten. Mitarbeitende ihrerseits sollen die Motivation in ihrer Aufgabe und nicht in der Sehnsucht nach Wertschätzung suchen, denn jene schafft Abhängigkeiten, die sie letztlich nicht beeinflussen können.
Mut kommt von Ermutigung
In die Ambivalenz rund um Wertschätzung, Lob und Anerkennung mischt sich mit der Ermutigung ein erfrischender Ansatz von Winfried Berner. Die Unterschiede zwischen Lob und Anerkennung einerseits und Ermutigung andererseits sind grösser als man denkt, insbesondere wenn wir an die entmutigende Wirkung vergangener Misserfolge denken. In modernen Konzepten der Managementlehre findet sich der Begriff der Ressourcenaktivierung. Die Idee ist nicht neu und orientiert sich an Alfred Adler, einem Schüler Sigmund Freuds und dem Begründer der Individualpsychologie. Adler hat schon früh im 20. Jahrhundert die Bedeutung von Ermutigung zur Potenzialentfaltung beim Menschen erkannt und erforscht. Ein Gefühl der Entmutigung erlebt der, dessen Selbstwertgefühl gering ausgeprägt ist und wir infolgedessen antriebs- oder eben mutlos agiert. Entmutigung und Angst sind zentrale Gefühle, die bei uns selbst und in der Zusammenarbeit mit anderen ein störendes und folglich ineffektives Verhalten bewirken. Wir alle tragen als Folge alter Erfahrungen Entmutiger in uns und sie belasten uns in den kritischen Situationen. Du bist mit einer komplizierten Berechnung beschäftigt und dir wird schlagartig bewusst, dass du schon immer Mühe mit Mathematik hattest. Oder du sollst eine Präsentation vor Kunden vorbereiten und erinnerst dich sofort an den letzten misslungenen Auftritt.
Während sich Lob und Anerkennung auf Vergangenes beziehen, also eine Belohnung für erbrachte Leistung sind, soll Ermutigung Ansporn für künftige Leistungen sein. Im Fokus steht nicht das erzielte Ergebnis, sondern der Erhalt und die Stärkung der eigenen Ressourcen und der Motivation. Ermutigung kann bei null beginnen, während Lob und Anerkennung zynisch wirken, wenn sie schon bei mäßiger Leistung ausgesprochen werden. Bei Lob und Anerkennung setzt die Führungskraft die Messlatte nach ihrem eigenen Empfinden, während sich Ermutigung am Bedarf des individuellen Mitarbeiters orientiert, gewissermassen also kundenzentriert funktioniert. Lob und Anerkennung bestätigen die Hierarchie: Die Über- und Unterordnung schafft die Grundlage für die Richtung von Lob und Anerkennung. Als Mitarbeiterin der Vorgesetzten Anerkennung zu zollen, kann komisch wirken, denn Vorgesetzte lassen sich zu Recht nicht von jedem loben. Ermutigung hingegen basiert auf einer Gleichstellung der Beteiligten, indem einer den anderen genauso ermutigen kann wie umgekehrt. Weiter fördert Ermutigung beharrlich das Engagement und birgt keine Gefahr, dass sich Mitarbeitende selbstzufrieden zurücklehnen könnten. Gerade im Misserfolg kannst du als ermutigende Führungskraft konstruktive Impulse für die Zukunft setzen.
Die ermutigende Führungskraft richtet den Blick auch bei Fehlschlägen nach vorn, während Lob und Anerkennung an dieser Stelle ausbleiben oder in Kritik münden müssen. Ermutigung sendet Zeichen eines robusten Vertrauens und ist im besten Sinne des Wortes effektiv, weil sie die Chance auf (künftigen) Erfolg erhöht. Womit und wie kannst du als Chefin Voraussetzungen schaffen, die deine Mitarbeitenden dazu bringen, jeden Tag die eigene Grenze etwas höher zu setzen und neue Dinge auszuprobieren?